Seit Samstag Nacht gibt es eine Hausbesetzung in Aachen, in der Kasinostraße 55, für ein neues selbstbestimmtes soziales Zentrum. Das freut uns sehr! Wir schicken euch, liebe Besetzer_innen, ungestüme Soligrüße und wünschen Euch viel Kraft und Vehemenz für die nächsten Tage. Bis bald in der Kasinostrasse.
Squat the hearts of the cities! Einige Menschen aus dem AZ Köln.
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Update (2.1.12): Besetzung beendet:“Folgend werden die BesetzerInnen das Haus verlassen. Dies geschieht unter der Bedingung, dass von einer Strafanzeige abgesehen wird.“
Hier das Statement der Besetzer_innen (http://linksunten.indymedia.org/de/node/52678):
In Aachen wurde in der Nacht vom 31.12.2011 auf den 1.1.2012 in der Kasinosstraße 55 ein Haus besetzt. Kurz gesagt gibt es zwei Gründe dafür. Zum einen geht es um so etwas wie Selbstbestimmung was unser alltägliches Leben angeht, zum anderen um das Finden sinnvoller Widerstandsformen gegen neofaschistische Formierung, rassistische Ausgrenzung, sexistischen Normalzustand und soziale und politische Repression.
Aber langsam…
In Zeiten zunehmender neoliberaler Vereinzelung und Isolation, flankiert von sozialen Angriffen und der Ausweitung staatlicher Kontrollbefugnisse, ist es uns wichtig, Gegenpunkte zu schaffen. Orte, an denen Menschen zusammenkommen, sich zusammen wehren können, sich darüber austauschen können, wie wir alle je unsere Leben gestalten wollen. Es geht darum, öffentlichen Raum zu schaffen, der Vereinzelung entgegenzuwirken ohne in autoritäre Gemeinschaften zu verfallen, kurz: es geht um kollektive Freiheit.
Generell erfordern politische Auseinandersetzungen manchmal eigensinnige und kreative Wege. Wir sind davon überzeugt, dass eine Vielfalt von Widerständen, von solidarischen Widerständen uns nicht nur unseren Zielen näher bringt, sondern uns auch lernen lässt, welcher Wert in Differenz, welcher Wert in den kleinen Kämpfen und in der Vernetzung, in der Bezugnahme der kleinen Kämpfe steckt. Diese Differenzen sind ein guter Garant gegen autoritäre Vereinheitlichung. Ein soziales Zentrum kann dazu beitragen, ihnen Platz zu geben.
Es geht nicht darum, ein Ort jenseits gesellschaftlicher Strukturen zu behaupten, diesen Ort gibt es nicht. Es geht aber darum, wissend um all die Widersprüche, solidarische Praxen zu erproben. Wenn wir von solidarischen, von befreiten Gesellschaften sprechen, mag sich das für die ein oder den anderen attraktiv anhören. Das Sprechen darüber ist die eine Sache, Utopien sollten formuliert werden, das Experimentieren im Hier und Jetzt ist die andere Sache. Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Herrschaftsfreiheit sind linke Prinzipien, die es gilt im Alltag umzusetzen. Dafür braucht es Raum. Diesen schaffen wir. Zusammen.
Wir sehen Gesellschaft und Geschichte als etwas an, das nicht von „den Großen“ gemacht wird. Wir alle sind Mitgestalter_innen der Verhältnisse, in denen wir leben. Daher ist es notwendig, sich mit Gesellschaft und Politik auseinanderzusetzen und offensiv gegen gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse vorzugehen. Wir müssen uns gemeinsam darüber klar werden, in welcher Gesellschaft wir miteinander leben wollen. Soll es eine sein, die auf permanentem Ausschluss beruht oder eine, die keine_n alleine lässt? Linke, emanzipatorische Politik heißt für uns auch, Gewaltverhältnisse in Frage zu stellen und nicht Menschen.
Weltweit brechen immer wieder Menschen auf, um für ein besseres Leben zu kämpfen. Seien es die Aufstände in Nordafrika, die Kämpfe in Spanien und Griechenland, von diesen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen können wir viel lernen. Zum Beispiel, dass Geschichte nie zu Ende ist, dass es Besseres gibt, als das, was wir kennen und was uns als so selbstverständlich und normal verkauft wird. Kämpfe um Räume, seien es öffentliche Plätze oder Häuser, die ihrer Bestimmung, genutzt zu werden, wieder zugeführt werden, gab es immer und es wird sie immer geben. All diese Bestrebungen waren und sind immer wieder Ziele staatlicher Repression, ob das in Form der Illegalisierung von Hausbesetzung in den Niederlanden geschieht oder durch exzessive Polizeigewalt bei der kürzlich erfolgten Räumung des sozialen Zentrums Kukutza im baskischen Bilbao. Diese Repression macht die Besetzungen, die Zurückeroberung des öffentlichen Raums aber nicht weniger legitim.
In Aachen werden neonazistische Strukturen seit geraumer Zeit immer stärker. Seit etwa drei Jahren finden fast in regelmäßigem Takt körperliche Übergriffe auf Linke, auf Migrant_innen und andere, die nicht ins faschistische Weltbild passen, statt – meist ohne öffentliche Aufmerksamkeit.
Kameradschaft Aachener Land und NPD halten in Aachen nationalsozialistische Treffen ab, organisieren Wehrsportcamps, trainieren mit Waffen, ihre Mitglieder greifen Menschen an, überfallen Wohnungen von Antifaschist_innen und attackieren gezielt linke Räume. In der medialen Öffentlichkeit wird das mitunter zynisch als „Schlagabtausch zwischen Links und Rechts“ abgetan oder schlicht als „Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen“. Getreu der Extremismustheorien wird so rechte Gewalt entpolitisiert und ihre Ursachen ins Unerklärliche verschoben. Dass Aachen sich zu einer Hochburg der extremen Rechten in NRW entwickelt hat, versuchen die örtlichen etablierten Parteien zu ignorieren. Aber sie werden ja auch (noch) nicht angegriffen, da ist Ignoranz ziemlich leicht. Antifaschismus, so stand es mal auf einem in Aachen öffentlichkeitswirksam platzierten Transparent, Antifaschismus braucht Freiräume. Den Rekrutierungsversuchen der Neonazis an Schulen, in Fußballstadien und Kneipenmeilen müssen sichtbare antifaschistische Orte und Überzeugungen entgegengesetzt werden. Antifaschismus bedeutet für uns Veränderung und Bewegung, er ist nicht nur eine Reaktion auf faschistische Gefahr, sondern er bedeutet das Begehren eines Lebens, das die Bedingungen für Faschismus abschafft. Für uns bedeutet Antifaschismus nicht die Verteidigung des Bestehenden, sondern er bedeutet, weiterzugehen. Will Antifaschismus erfolgreich sein, muss er offensiv sein, sichtbar, nicht nur als Abwehrbewegung gesehen werden. Wir werden in Aachen antifaschistische Räume etablieren und so der neonazistischen Bewegung entgegenarbeiten. Kein Millimeter der Straße darf Neonazis gelassen werden. In Zeiten dieser zunehmenden Gefahr, sind linke Räume auch als antifaschistische Räume wichtig. Umso bedenklicher ist es, dass in dieser Situation das Aachener Autonome Zentrum zur Disposition steht. Die Zukunft des Autonomen Zentrums in Aachen ist durch den (bevorstehenden) Verkauf ungewiss. Ohne dieses Zentrum, ohne die Jahrzehntelange selbstbestimmte, unkommerzielle, linke, antifaschistische Arbeit dort, würde es, da sind wir sicher, in Aachen bedeutend schlechter aussehen. Sollte es zu einer Schließung ohne die Bereitstellung eines adäquaten (!) Ersatzobjektes kommen, können sich die dort Engagierten unserer tatkräftigen, solidarischen und ausdauernden Unterstützung sicher sein. Diese Besetzung ist damit auch ein Statement zum Erhalt des Autonomen Zentrums – zu den Bedingungen, die das AZ fordert.
Neben dem AZ braucht es – und diese Forderung ist nicht neu – Räume, die eine andere Funktion erfüllen als die des AZ. Im sozialen Zentrum wird die alltägliche politische Arbeit und nicht die alternative politische Kultur im Vordergrund stehen. Ein soziales Zentrum soll verschiedensten Gruppen, Initiativen oder auch Einzelpersonen einen Raum geben und somit emanzipatorischer Politik eine Infrastruktur bieten. Wir brauchen beides!
Es ist absurd, wenn Häuser leer stehen, wenn sie von Bewaffneten davor „geschützt“ werden, ihrem Zweck zugeführt zu werden, dass Menschen sie bewohnen. Aber auch das Aachener Stadtbild ist immer mehr bestimmt von Sanierung oder Abriss alter Gebäude, Neubauten, steigenden Mieten und Preisen und einer anschließenden Verdrängung von Menschen, die sich diese nicht mehr leisten können. Die Verdrängung von nicht erwünschten Menschen aus dem Stadtbild kann wie am Beispiel des Adalbertsbergs durch direkte Kündigungen von Mietverhältnissen passieren, kann aber auch strukturell durch stetige Erhöhung der Mietpreise vollzogen werden. Als erstes trifft es immer diejenigen, die im unteren Teil der gesellschaftlichen Hierarchie zu finden sind, am Kaiserplatz sind das Obdachlose und Drogenkonsument_innen.
Dieses (neoliberale) Städtekonzept wird flankiert von der Privatisierung zuvor öffentlichen Raumes, von Plätzen, Parks und Freiflächen. Wo vor einigen Jahren in Aachen noch Raum war für Begegnung jenseits von Konsumlogik, haben heute Cafes und Restaurants den Platz vereinnahmt. Vereinzelung wird so Vorschub geleistet, kollektiven Widerstandsformen wird der Raum genommen, sich finden zu können. Die offizielle Politik spielt diesen Entwicklungen in die Hände. 2007 beschloss der Rat der Stadt Aachen die Änderung der Aachener Straßenordnung. Beispielsweise ist es seitdem nicht mehr erlaubt, öffentliche Versammlung von mehr als drei Personen abzuhalten. Das heißt: Eine Gruppe von mehr als drei Menschen kann vom Ordnungsamt oder der Polizei zur Versammlung erklärt und folglich aufgelöst werden.
Es geht also darum, uns Räume anzueignen, es geht um städtische Aneignungskämpfe für das Recht aller Bewohner_innen jenseits nationaler oder sozialer Hintergründe auf Stadt. Es geht darum, die Stadt entlang der Bedürfnisse der darin lebenden Menschen zu gestalten und nicht nach den Logiken von Profit, Verwertung und Konsum. Mit einer Aneignung von Orten, Plätzen, Häusern verändert sich nicht nur die Stadt: Es verändern sich unsere Bezugspunkte, Beziehungen und Begegnungen. Ein soziales Zentrum stellt in einer immer mehr auf Verwertungslogik aufbauenden Städteplanung einen konkreten Gegenpol dar, einen Ort des Austauschs und der Kommunikation.
Das sind nur einige Gründe, die die Notwendigkeit „freier“ Räume in Aachen begründen. Was sich entwickeln wird, wozu diese Räume genutzt werden, kommt nicht zuletzt darauf an, mit welchen konkreten Praxen sie gefüllt werden.
Kommt vorbei und nutzt den neu entstandenen Raum!