Ein schöner Artikel aus der Bochumer Stadt- und Studierendenzeitung
Ein bisschen liebenswertes Chaos
Knapp drei Wochen ist es her, dass dem verlassenen Gebäude in Köln-Kalk neues Leben eingehaucht wurde. Seitdem ist es besetzt und aus der ehemaligen Kantine ist das neue Autonome Zentrum in der Stadt am Rhein geworden. Nachdem sich zunächst die Sparkasse Köln-Bonn, als Besitzerin des Gebäudes, und die neuen NutzerInnen einen öffentlichen Schlagabtausch lieferten, ist das Zentrum mittlerweile im Stadtteil angekommen. Am Wochenende fand nun mit dem „Twister No. 1“ ein zweitägiges Kulturfestival statt. Die bsz war da und hat sich das Ganze angeschaut.
Kalk ist eher einer der ruhigeren Stadtteile Kölns. Ein paar Stationen vom stark frequentierten Messegelände in Deutz entfernt, ist der erste Eindruck beim Verlassen der U-Bahn-Station etwas ernüchternd: Viel los ist hier offenbar nicht. Beim Einbiegen in die Wiersbergstraße, an deren Ende das AZ liegen soll, verfestigt sich das Bild: Wohnhäuser, eine Eckkneipe, eine Handvoll Kinder mit Fahrrädern auf der Straße und ein paar AnwohnerInnen an den Fensterbänken. Weiter hinten in der Straße ragt eine schwarz-rote Fahne von einer Hauswand. Gut, ich bin doch richtig.
Platzmangel herrscht im neuen AZ nicht. Dahinter gibt‘s noch einen Garten. Foto: mlg
Das besetzte Haus entpuppt sich als weit größer als gedacht. Transparente hängen vom Dach und aus den Fenstern, die Wänden sind mit riesigen Bildern bemalt. Das verbarrikadierte Eingangstor wirkt durch die bunten Plakate gar nicht so abweisend, ein angebrachtes Schild verweist auf einen Eingang um die Ecke. Auf der Wand links daneben heißen die BesetzerInnen ihre BesucherInnen mit großen, mehrsprachigen Graffiti willkommen.
Um zum Eingang zu gelangen, muss ich durch einen kleinen Garten. An einem Baum hängt eine Schaukel mitsamt Kind, daneben stehen ein paar Leute um die 30, offenbar die zugehörigen Eltern. Von der Hausbesetzer-Militanz der 80er Jahre ist hier keine Spur – und das sollte den Tag über auch so bleiben. Im Gebäude, in das man übrigens auch über eine von den BesetzerInnen gebaute Rollstuhlrampe hineinkommt, finde ich mich in einer zwei Stockwerke hohen Eingangshalle wieder. In der Mitte steht eine zusammengezimmerte Theke, dahinter zwei junge Männer mit bunten Dreadlocks. Nein, von der „Pressegruppe“, die sich eigentlich um Leute wie mich kümmert, sei gerade niemand da, aber einer der Beiden erklärt sich spontan bereit, mich durch das Zentrum zu führen. Vor allem als Raum für Veranstaltungen abseits des politischen und kulturellen Mainstreams sei das AZ in Köln wichtig, erklärt er mir, als ich auf dem Weg in den großen Veranstaltungsraum frage, warum man denn im großen Köln ein AZ braucht. Mit der Alten Feuerwache und dem LC36 gibt es zwar zwei selbstverwaltete Räume in der Stadt, für größere Veranstaltungen seien diese aber schlicht zu klein. Platzmangel herrscht im neuen AZ nicht. Der große Veranstaltungsraum, dem man seine Vergangenheit als Speisesaal für die umliegenden Industriebetriebe sofort ansieht, ist mit seinen grob geschätzten zehn mal zwanzig Metern recht üppig bemessen. Die zehnköpfige Gruppe, die gerade einen Nähworkshop veranstaltet, wirkt da fast ein bisschen verloren. Am anderen Ende des Raums ist ein Tisch mit Essen aufgebaut – eine „Volxküche“, bei der es Essen umsonst oder gegen eine kleine Spende gibt. „Alles selbstorganisiert“, erklärt mir mein Begleiter. Da das leider auch auf das Spülen zutrifft, verzichte ich dankend. Den Selbstorganisationsgedanken haben die AZlerInnen offenbar schon ein Stück weit im Viertel verankern können. Das Verhältnis zu den NachbarInnen sei super, einige hätten sogar schon mal Kuchen vorbeigebracht. Die Kinder kämen auch zum Spielen vorbei.
Aber nicht nur die NachbarInnen, auch die Kölner Lokalpolitik steht dem Zentrum überwiegend positiv gegenüber: Die Grünen und die Linkspartei unterstützen das Projekt, und selbst der SPD-Bezirksbürgermeister kann sich laut Kölner Rundschau vorstellen, dass „ein solches Zentrum in das künftige Planungskonzept für das Gebiet Kalk-Süd“ hineinpasst. Lediglich die CDU mag sich mit den BesetzerInnen nicht anfreunden. Ebensowenig die Sparkasse, die als Eigentümerin des Gebäudes bereits rechtliche Schritte angekündigt hat. Gegen den Einwand der Bank, das Haus sei baufällig und tauge nicht für Veranstaltungen können die BesetzerInnen mittlerweile das Gutachten eines von ihnen beauftragten Architekten und eines Statikers entgegenhalten, laut dem die Sicherheitsbedenken „nicht in einem Fall zutreffen“. So wie es aussieht, wird das AZ wohl erst einmal bleiben. Damit das auch langfristig klappt, streben die BesetzerInnen eine dauerhafte Lösung mit allen Beteiligten an. Ein Besetzen um des Besetzens willen soll es nicht geben. Das liegt nicht nur daran, dass das AZ das Ergebnis einer seit 2009 laufenden Kampagne der Kölner Pyranha-Initiative ist, und für ein selbstbespaßendes 68er-Reenactment einfach zu viel Arbeit in dem Zentrum steckt. „Es geht auch einfach nicht, dass so ein Haus leersteht, während es so viele Leute gibt, die etwas machen wollen“, bringt mein Begleiter das Anliegen auf den Punkt, während wir eine Treppe hinaufgehen.
Im ersten Stock sind kleinere Räume, die als Ateliers und Schlafräume genutzt werden. Ein paar Sofas stehen darin, die Wände werden wohl gerade bemalt. Die Kreativen machen eine Pause und schauen aus dem Fenster, aus einem Kassettenrecorder tönen gemächliche Reggae-Beats. Auf dem Weg durch den Garten passieren wir den nächsten Workshop. Statt sich, wie die Leute drinnen, handwerklich zu betätigen, referiert jemand über Geschlechterverhältnisse, drumherum sitzen gut 20 Leute und hören aufmerksam zu. Ein paar Meter weiter diskutieren zwei Frauen einen Text, während an der Wand gegenüber ein paar Kids sprayen üben. Auf dem Weg zurück ins Haus bekomme ich noch den Jonglageworkshop in dem Teil des Hauses zu sehen, der mir als Wintergarten vorgestellt wird. Für die kalte Jahreszeit dürfte er wegen der fehlenden Fensterscheiben allerdings weniger geeignet sein. Als ich wieder in der Eingangshalle stehe, fällt mir auf, dass mein Begleiter weg ist: Offenbar konnte er der Versuchung nicht widerstehen, selbst zu den Diabolo-Sticks zu greifen.
Auf dem Weg nach draußen frage ich die beiden Jungs, die gerade auf einer Leiter stehend die Hauswand verzieren, ob ich ein Foto von ihnen machen kann. „Klar! Wenn Du nicht grade von der Polizei bist…“ Ich verneine wahrheitsgemäß und drücke auf den Auslöser. Die Polizei sehe ich dann allerdings doch noch: Als ich das Gelände verlasse, kommt eine Limousine mit verdunkelten Scheiben in die Straße gefahren. Drinnen sitzen ein Mann und eine Frau mittleren Alters, gucken eine Weile misstrauisch und fahren dann wieder weg. Für die KollegInnen auf der Wache gibt‘s wohl heute noch mal Entwarnung. Alles friedlich. Was denn auch sonst?
Wandbilder wie in den 80ern. Nur die Parolen sind netter. Foto: mlg