Versuch einer ersten Einschätzung.
Was für eine Woche. Nach dem es bis Donnerstagmittag so aussah als werde das AZ definitiv geräumt und abgerissen, basteln wir jetzt gemeinsam mit der Sparkasse an einem legalen Rahmen für die nächsten sechs Monate („Nutzungsüberlassung“).
Die gefundene Lösung erscheint nun plötzlich allen Parteien & Kommentator_Innen „recht sinnvoll“ – und auch wir halten die Nutzung des Hauses für sinnvoller als ein Leerstand oder Abriss ohne weitere Pläne. (Über unsere allgemeinen Ansichten zum Thema Mietverträge, Vereine, Vorstände etc. können wir uns ein anderes Mal auslassen – bis dahin empfehlen wir z.B. die sympathischen Texte der „unverträglichen“ Roten Flora in Hamburg).
Dabei ist oft zu hören: „Aber der Weg über eine Besetzung sei nicht der richtige gewesen“. Das sehen wir nach wie vor anders.
Die ‚Kampagne pyranha’ hat 1 1/2 Jahre für ein solches Zentrum bei Politiker_Innen und überall geworben. Der (damals gerade wahlkämpfende…) Roters erzählte in einem längeren Gespräch sogar, dass ihm solche Projekte eine „Herzensangelegenheit“ seien. Passiert ist bei all diesen Gesprächen nichts – also wurde die Wiersbergstraße 44 besetzt.
Auch ab diesem Zeitpunkt waren wir stets an einer legalen Nutzung interessiert. Der nun fast fertige Nutzungsvertrag entspricht weitgehend dem, was wir bereits grob im Sommer (mit der versuchten Anmeldung von Wasser & Strom und dem OK des Bauordnungsamts) und detailliert im Herbst (in einem Legalisierungsvorschlag an die Sparkasse, siehe hier) angeboten haben. Unser in der Presse öfter behauptete „Unwille zu Verhandlungen“ stimmt einfach nicht – den gesamten Polizeieinsatz hätte man sich komplett sparen können.
Um es deutlich zu sagen: Wenn wir nicht mit der Besetzung ein Autonomes Zentrum geschaffen hätten, hätten wir auch das letzte Jahr auf der Straße verbracht. Über 600 Veranstaltungen mit tausenden Besucher_Innen hätten nicht statt gefunden, während das Haus weiter ungenutzt vergammelt wäre.
Und erst die auf die angesetzte Räumung folgende, riesige und entschlossen gezeigte Solidarität aus Nah und Fern brachte die Sparkasse überhaupt dazu, über eine sinnvolle Lösung zu reden.
Das wäre doch auch echt einfacher gegangen, das haben wir euch immer gesagt. Aber so muss das wohl sein in diesem seltsamen System.
Die Verhandlungen liefen dann tatsächlich fair ab und führten zur besagten ‚sinnvollen Lösung für alle’. Die Sparkasse war wohl selbst überrascht, dass man mit uns durchaus vernünftig reden kann. Und wir können unsererseits die Art der Verhandlungsführung ab dem Abbruch der Räumung bis heute loben – über die Minuten, Tage und Monate davor schauen wir jetzt erstmal großzügig hinweg, denn das Ergebnis zählt.
Nun kämpfen wir uns durch Papierberge, stehen in Kontakt mit unseren Anwält_Innen und der Rechtsabteilung der Sparkasse, müssen über Vereinsgründung, Brandschutzauflagen und vieles mehr entscheiden, aber das kriegen wir schon hin. Der sich abzeichnende Vertrag ist im Rahmen der Möglichkeiten (a.k.a. „Kapitalismus“) für uns durchaus akzeptabel. Strom- und Wasseranschluss brauchen wohl noch einige Zeit und der geplante Geburtstag (15./16.4.) muss abgespeckt werden, doch wir sind zuversichtlich dass wir auch das schaffen. Außerdem erfahren wir nach wie vor große Unterstützung bei allen Aufgaben vor Ort.
Ein erstes Fazit könnte lauten:
- Erst die riesige Unterstützung von überall brachte uns überhaupt in eine Verhandlungsposition. Danke!
- Leerstand sinnvoll zu nutzen kann viele Menschen überzeugen – wenn man uns erstmal ernsthaft zuhört. Ein kleiner Sieg der Vernunft über Gesetze und Verwertungslogik. Hut ab!
- Der Kampf um das Recht auf Stadt geht weiter – vielleicht gibt das ‚Kölner Modell’ neue Impulse… Wir bleiben Alle!
Nun haben wir erst mal eine sechsmonatige Atempause, in der die voraussichtlich nächste Eigentümerin des Gebäudes, die Stadt Köln, jede Menge Zeit zum Überlegen hat.
In diesem Sinne: (K)ein Tag ohne!
– Hier noch ein erster Erlebnisbericht zu einer wichtigen Frage:
Wie kam es überhaupt zu den Verhandlungen, obwohl es bis Donnerstagmittag noch nach Räumung und Abriss aussah? Ein Erlebnisbericht von hinter den Barrikaden:
Ab Mittwoch gegen 15 Uhr wurden die Straßen um das AZ komplett abgeriegelt und die endgültige Räumung für Donnerstag früh war sicher. Die zu diesem Zeitpunkt im AZ anwesenden ca. 60 Aktivist_Innen beschlossen das Haus nicht freiwillig zu verlassen und richteten sich auf eine letzte traurige Nacht im und vor dem Haus ein.
Während dessen kamen immer mehr Unterstützer_Innen an die Absperrungen in Sichtweite der Barrikaden und machten uns durch ihre Sprechchöre Mut – die meisten blieben die ganze Nacht. Eine von den Besetzer_Innen über die Wiersbergstraße gespannte Leinwand samt Beamer+Laptop ermöglichte gar eine schriftliche Kommunikation mit den Unterstützer_Innen. Parallel dazu liefen in der Nähe letzte Verhandlungsversuche in einer von Anwohner_Innen einberufenen kleinen Runde von Politiker_Innen und AZ-Kontakten.Gegen 23 Uhr erreichte uns ziemlich überraschend eine Nachricht der Sparkasse mit dem mündlichen Angebot auf sofortige Verhandlungen über einen Mietvertrag, wenn wir das Gebäude samt Gelände verlassen würden – sonst werde geräumt. Eine schriftliche Bestätigung des Angebots wurde abgelehnt. Wir erinnerten uns: ähnliches passierte z.B. 1980 bei der Stollwerck-Besetzung – sie wurden verarscht und das Stollwerck nach der freiwilligen Räumung zu großen Teilen zerstört. Aber wenn die Sparkasse ernsthaft an Verhandlungen über einen annehmbaren Mietvertrag interessiert ist, könnten wir doch einfach so lange den Status quo der letzten 11 Monate erhalten und verhandeln?! Also entschieden wir uns zu bleiben. Uns war klar: die Besetzung ist unsere Stärke, denn die Räumung und der sinnlose Abriss samt den daraus folgenden Konsequenzen werden vor allem von der anderen Seite gefürchtet. Dies war nicht zuletzt am Brief von Polizeioberhäuptling Steffenhagen an OB Roters am Dienstag zu erkennen.
Das Angebot wurde um ca. 6.30 Uhr schriftlich wiederholt und von uns weiterhin abgelehnt, während rund um das Haus die Hundertschaften, Wasserwerfer und Räumfahrzeuge Stellung bezogen und vor den Absperrungen immer mehr Unterstützer_Innen ankamen. In den folgenden 6 Stunden wurden seitens der Sparkasse über Vermittler_Innen mehrere veränderte Angebote gemacht, die jedoch stets die Forderung enthielten, das Gelände zu verlassen. Erst gegen 12 Uhr, als der Befehl zur Räumung bereits gegeben wurde, einigten wir uns in einem letzten Angebot auf den Kompromiss, dass wir für die sofortigen Verhandlungen das Haus verlassen, aber direkt davor bleiben – samt unserer Freund_Innen vor den dann offenen Absperrungen. Dies erschien uns sinvoller als eine Räumung und Abriss.
Es dauerte noch einige bange Minuten, bis die Einigung bei der Polizei ankam und die begonnene Räumung abgebrochen wurde. Wie vereinbart wurde nun der Zugang zum Gelände vor dem AZ erlaubt und die Verhandlungen initiiert, unter der Vorraussetzung, die Barrikaden weitgehend zurück zu bauen und das Haus nicht mehr zu betreten. Um dies sicherzustellen, wurde das Haus besichtigt und anschließend von Securities der Sparkasse bewacht.Ab diesem Moment fühlten nicht nur wir uns sehr unsicher und unwohl mit der Situation. Das Vertrauen in Verhandlungen war gering, das Verlagern der Barrikaden führte zu noch größerer Unsicherheit und der Anblick der Sicherheitsleute im Eingang des AZs tat weh. Immerhin hatten wir drei Punkte erreicht: Abbruch der Räumung und Straffreiheit, Verhandlungen – und das Gebäude stand noch, mit uns davor. Ab jetzt hieß es warten auf erste Ergebnisse der Verhandlungen.